Konzert 1 _ SEBASTIAN

CHANTS AGAINST THE PLAGUE
Gesänge gegen die Pandemie in der Zionskirche

Ein Projekt von VOX NOSTRA – gefördert vom Hauptstadtkulturfonds Berlin 2021
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Konzert 1  SANCTE SEBASTIANE ora pro nobis
Ein- und mehrstimmige Gesänge zu Ehren des Pestheiligen Sebastian 

Donnerstag, 05. August 2021, 20:30 Uhr

„O heiliger Sebastian, an jedem Tag, morgens und abends, in jeder Stunde und jedem Augenblick, behüte und bewahre mich, so lange ich bei gesundem Verstand bin.

Behüte mich und bewahre vor solcher Heimsuchung mich und meine Freunde, die wir uns schuldig bekennen vor Gott, der heiligen Maria und vor dir, o frommer Märtyrer.

Du, Bürger von Mailand, kannst, wenn du willst, dieser Pest ein Ende setzen und dies bei Gott erwirken, denn wie viele wissen, hast du diese Gnade verdient.“

So lauten die ersten Strophen der Motette O sancte Sebastiane vom franko-flämischen Komponist und Musiktheoretiker Guillaume Dufay (* vor 1400 bei Cambrai; † 27. November 1474 in Cambrai), die er vermutlich 1428/29 anlässlich des Ausbruchs der Pest in Rom verfaßte.

Dieses Konzert in der Zionskirche Berlin-Mitte am Zionskirchplatz mit ausgewählten Kompositionen des 10. bis 16. Jahrhunderts richtet den Fokus auf das Leben und Wirken des Pestheiligen Sebastian, der sich im 3. Jahrhundert als hochrangiger römischer Präfekt dem Christentum zuwandte und einige seiner Offiziere und Menschen in seinem Umfeld zu der neuen Glaubensrichtung bekehrte. Sein Dienstherr, der römische Kaiser Diokletian, war erzürnt und und befahl, ihn durch das Beschießen und Durchbohren seines Körpers mit Pfeilen zu beseitigen. Er wurde wortwörtlich zu einer ‘Zielscheibe des Hasses’, starb aber nicht an dieser Peinigung, sondern wurde von Irene, der Witwe des römischen Offiziers Castulus, ein Freund und Kollege Sebastians, der wegen seines christlichen Glaubens ermordet wurde, wieder gesund gepflegt.

Sebastian sprach all den zum Christentum Bekehrten, die zu dieser Zeit wegen ihres Glaubens eingekerkert wurden, Mut zu und trat erneut Kaiser Diokletian entgegen, der ihn für tot gehalten hatte. Nachdem Sebastian ganz offensichtlich weiterhin Propaganda für das Christentum betrieb, ließ ihn der Kaiser erschlagen und seine Leiche in die cloaca maxima, den großen Abwasserkanal in Rom, werfen. Er sollte für immer verschwinden, erschien jedoch der jungen Christin Lucina im Traum und teilte ihr den Ort mit, wo sein Leichnam angeschwemmt worden war. Sie holte den Leichnam heraus und bestattete ihn im Coemeterium ad catacumbas an der Via Appia – heute die Katakomben des Hl. Sebastian – wo eine Zeit lang auch Petrus und Paulus verehrt wurden.

Sebastians Verehrung beginnt im 6. Jahrhundert in Ravenna mit Mosaiken sowie in Spanien und Nordafrika. Eine Pestepidemie in Pavia im Jahr 680 soll auf wundersame Weise erloschen sein, nachdem man seine Reliquien dorthin brachte und durch die Straßen trug. Danach wurde Sebastian in Pestzeiten immer wieder angerufen in der Hoffnung, daß er sich bei Gott für eine schnelle Beendigung der Plage einsetzt.

Die bildlichen Darstellungen sind mannigfaltig und die ersten Zeugnisse zeigen ihn als älteren, bärtigen Soldat. Spätestens in der Renaissance jedoch erfolgte eine deutliche Verjüngung und Erotisierung. Hier wird Sebastian zu einem halb-nackten, an einen Baum oder eine Säule gefesselten und von Pfeilen durchbohrten Jüngling mit einem verklärtem Blick gen Himmel. Neben vielen Sebastianskirchen und -kapellen, die in der Renaissance und der Barockzeit bei Pestepidemien errichtet wurden, waren es im ausgehenden 20. Jahrhundert vor allem die männlichen Homosexuellen, die Sebastian zu den Zeiten der AIDS-Pandemie wie einen Heiligen zum Schutz vor Ansteckung anriefen.

Auch die Pfeile, die das erste Martyrium Sebastians symbolisieren, erfuhren einen Paradigmenwechsel. Sie wurden in Verbindung gebracht mit den Pestpfeilen, die ein zorniger Gott immer wieder auf die Erde geschossen hat, um die Menschheit aufzurütteln und zu Buße und Umkehr zu bewegen.

Die musikalische Verehrung von Sebastian zieht sich durch die Jahrhunderte – von der Gregorianik des 10. Jahrhunderts über die Vokalpolyphonie der ausgehenden Renaissance bis heute. VOX NOSTRA singt Gregorianische Choräle, Hymnen und mehrstimmige Motetten u.a. von Guillaume Dufay, Jean Mouton und Francisco Guerrero, die das Leben und Wirken des Pestheiligen eindrucksvoll schildern.

Sebastians Festtag im liturgischen Kalender ist der 20. Januar und seine Attribut sind die Pfeile seines Martyriums.

Konzertprogramm

Alleluia – Vox nostra resonet Zur Eröffnung ein feierliches Alleluia von Nikolaus von Radom um 1400 und ein Preisgesang aus Santiago de Compostela um 1150, der dem Ensemble seinen Namen verdankt

Salus autem iustorum* Gregorianischer Choral (Introitus) des 10. Jhs. zu Ehren eines Märtyrers zum Beginn der Meßfeier

O beate Sebastiane Mehrstimmige Anrufung des Hl. Sebastian in Pestzeiten von Jean Mouton (1459- 1522)

Innoventur in hac die* Sequenz des 15. Jahrhunderts aus dem Kloster St. Gallen zu Ehren des Heiligen Sebastian und des Hl. Fabian an deren Festtag am 20. Januar

Elegit Dominus* Antiphon aus den Stundengebeten des Mittelalters für den Hl. Sebastian am 20. Januar

O sancte Sebastiane Motette bei dem Ausbruch der Pestepidemie 1428 in Rom von Guillaume Dufay (* um 1400 in oder bei Cambrai [?]; † 27. November 1474 in Cambrai)

Egregie Dei martyr Sebastiane* Responsorium aus den Stundengebeten des Mittelalters für den Hl. Sebastian am 20. Januar und in Pestzeiten

Qui me confessus fuerit und Psalm 113 In exitu Israel de Aegypto* Antiphon und Psalm aus den Stundengebeten des Mittelalters für den Hl. Sebastian am 20. Januar oder in Pestzeiten

Beatus es et bene tibi erit von Francisco Guerrero (*1527 oder 1528 in Sevilla; † 8. November 1599)

Sebastianus vir christianissimus* Responsorium aus den Stundengebeten des Mittelalters für den Hl. Sebastian am 20. Januar oder in Pestzeiten

Sancte Sebastiane Mehrstimmige Anrufung des Hl. Sebastian in Pestzeiten von Jean Mouton (1459- 1522)

Laudes canamus inclytus* Hymnus aus den Stundengebeten des Mittelalters für den Hl. Sebastian am 20. Januar aus einer Handschrift des Klosters St. Gallen

Multitudo languentium Heinrich Isaac zugeschriebene Motette für 4 Stimmen zur communio

Multitudo languentium* Aus der feierlichen Meßfeier im Mittelalter zu Ehren des Hl. Sebastian bei der communio (Austeilung der Hostien)

Media vita in morte sumus Feierliche sechsstimmige Motette in Zeiten der Pest von John Sheppard (* um 1515; † Dezember 1558)

* = einstimmige Gregorianik


Texte und Übersetzungen in Auswahl:

Antiphona Elegit Dominus virum de plebe, et claritatem visionis aeternae dedit illi;
celebremus sollemnitatem Sebastiani martyris: (gaudium sit in caelo, et in terra pax in hominibus bonae voluntatis.)

Der Herr erwählte sich einen Mann aus dem Volk, und er gab ihm die Klarheit, das Ewige zu schauen. Lasst uns das Fest des Märtyrers Sebastian feiern: Freude sei im Himmel!
Und auf Erde Frieden den Menschen, die eines guten Willens sind.

Antiphona Sebastianus Mediolanensium partium civis, quem perfuderat Deus gratia, ab omnibus amabatur.

Sebastian, Bürger eines Teils von Mailand, den Gott mit Gnade [Anmut] überschüttet hatte, wurde von allen geliebt.

Responsorium Egregie Dei martyr Sebastiane, princeps ac propagator sanctissimorum praeceptorum,
ecce nomen tuum in libro vitae caelestis adscriptum est, et memoriale tuum non derelinquetur in saecula.

Ausgezeichneter Märtyrer Gottes, Sebastian, Anführer und Verbreiter der heiligsten Weisungen,
siehe: Dein Name ist im Buch des himmlischen Lebens dazu geschrieben, und die Erinnerung an dich wird in Ewigkeit nicht aufhören.

Vers. Socius enim factus es supernarum virtutum, quae et in caelis spiritum tuum susceperunt.

Gefährte wurdest du der himmlischen Tugenden, die auch im Himmel deinen Geist empfangen haben.

Responsorium Sebastianus, Dei cultor, studiose curabat sub absconso chlamide sanctorum animas confortare,
spem promittens et gloriam consequi sempiternam. Vers. Erat enim in sermone verax, in iudicio iustus.

Sebastian, ein Verehrer Gottes, sorgte sich eifrig darum, verborgen durch einen [Soldaten-]Mantel,
die Seelen der Heiligen zu stärken, indem er ihnen Hoffnung verhieß, und dass ewige Herrlichkeit nachfolgen werde. Vers:
Er war nämlich von wahrhaftiger Rede und im Urteil gerecht.

Responsorium Sebastianus, vir christianissimus, quem occultabat militaris habitus, et chlamidis obumbrabat aspectus. Vers. Quem perfuderat Deus gratia ab omnibus amabatur.

Sebastian, ein äußerst christlicher Mensch, der sich unter dem Gewand des Militärts versteckte, und im Soldatenmantel sein Aussehen überschattete. Vers: Den Gott mit Gnade überschüttet hatte, er wurde von allen geliebt.