CHANTS AGAINST THE PLAGUE
Gesänge gegen die Pandemie in der Zionskirche
Ein Projekt von VOX NOSTRA – gefördert vom Hauptstadtkulturfonds Berlin 2021
Karten an der Abendkasse für nur 12,00 Euro oder online hier zzgl. Vorverkaufsgebühr
Konzert 4 – DIE „PESTMESSE“ (Missa contra pestem) von 1348
Gregorianische Gesänge des Mittelalters gegen die Pandemie
Donnerstag, 12. August 2021, 20:30 Uhr
Das Konzert präsentiert eine von Papst Clemens VI. aufgrund der verheerenden Pestepidemie von 1347-1350 zusammengestellte Meßfeier, die über 1000 Jahre alte Gregoriansiche Choräle beinhaltet. Die Texte zeugen von Bußbereitschaft, um einen durch die vermeintlichen Untaten der Menschen erzürnten Gott zu besänftigen.
Im europäischen Mittelalter wuchs in Krisenzeiten die Furcht vor einem drohenden Weltuntergang und den anschließenden Qualen im höllischen Fegefeuer. Die römisch-katholische Amtskirche, deren Oberhaupt Papst Clemens VI. zur Zeit der großen Pestepidemie in Avignon residierte, schürte diese Ängste durch die Jahrhunderte. Aber dieser Papst reagierte 1348 auch auf Judenprogrome mit einem schriftlichen Verbot durch die Bulle „Quamvis perfidiam“ und versuchte die Juden vor dem aufgebrachten Volk zu schützen.
Außerdem kompilierte er aus uralten Gregorianischen Gesängen im Jahre 1348 eine „Pestmesse“, die allen Gläubigen, die diese spezielle Messfeier in und um Avignon besuchten, einen Ablaß von 260 Tagen zusicherte. Auch konnte der Schutz vor einem plötzlichen Tod ohne Sterbesakramente erlangt werden, wenn man diese spezielle Messe 5 Tage in Folge mit einer brennenden Kerze auf Knien mitverfolgte. Diese päpstliche ‚Komposition‘ einer Pestmesse ist ein Kuriosum und eine unmittelbare musikalische Reaktion auf die Pestwelle von 1347-1351 ebenso wie die Geißlergesänge. Die Papstgesänge sind in lateinischer Sprache und Clemens VI. bediente sich einer Reihe von bereits existierenden Gregorianischen Chorälen, deren Texte genau auf die Erfordernisse der Zeit passten.
Im Introitus (Eingangsgesang) der Messe Recordare domine testamenti tui heißt es beispielsweise: „Gedenke, Herr, deines Bundes, und sage zu dem Engel, der das Verderben bringt: Deine Hand höre auf, damit die Erde nicht verödet wird und damit du nicht jede lebende Seele vernichtest.“
Die Pestmesse ist in einigen europäischen Handschriften des Spätmittelalters – oft als Nachtrag in bereits bestehenden Codices wie im Codex 448 des Klosters St. Gallen- aufgezeichnet worden, da es immer wieder zu epidemischen Ausbrüchen kam. Einige der Melodien haben sich teilweise bis heute in der katholischen Liturgie erhalten.
Auch in der Miniaturmalerei fand die Thematik ihren Niederschlag wie in einem Stundenbuch des 15. Jahrhunderts aus Frankreich, das Gott und den Racheengel mit Schwert zeigt.
Neben der Pestmesse erklingen auch jüngere mehrstimmige Kompositionen zu den gleichen lateinischen Texten von Heinrich Isaac und Maitre Jhan. Als Abschluß erklingt das in Pestzeiten immer wieder gesungene Media vita in morte sumus – Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen – hier in einer sechsstimmigen Fassung von John Sheppard.
Konzertprogramm
Vox nostra resonet Zweistimmiger Bittgesang von 1150 aus der Kathedrale von Santiago de Compostela, nach dem sich das Berliner Vokalensemble Vox Nostra benannt hat
Recordare domine testamenti tui* Einzugsgesang (Introitus) der von Papst Clemens VI. 1348 aufgrund der brutalen Pestepidemie in Avignon zusammengestellte “Pestmesse” zur Überwindung der Pandemie
Recordare domine Fünfstimmige Version des Introitus von Philippe Verdelot (* um 1485; † um 1532 in Florenz) mit dem cantus firmus Parce domine in der Oberstimme von Jacob Obrecht
Misit dominus verbum suum* Gregorianischer Choral des 11. Jahrhunderts / Gesang der Pestmesse auf den Stufen des Altars (Graduale) mit dem Wunsch nach wundersamer Rettung vor der Pest
Alleluia – Ostende nobis Heinrich Isaac á 4
Alleluia Ostende nobis* Gregorianischer Choral des frühen 10. Jahrhunderts / Gesang der Pestmesse nach dem Evangelium mit der Bitte um Heilung
Philippe de Vitry: Petre Clemens – Lugentium siccentur – Tenor Preismotette von Philippe de Vitry (* 31. Oktober 1291; † 9. Juni 1361) auf die guten Taten von Papst Clemens VI., der in Avignon 1348 die Pestmesse zusammengestellt und die Juden vor Verleumdung und Verfolgung zu schützen suchte
Stetit pontifex iuxta mortuos* Gregorianischer Choral des 10. Jahrhunderts zur Bereitung der Gaben Brot und Wein (Offertorium) innerhalb der päpstlichen Pestmesse mit Textänderungen wie “pontifex” statt ursprünglich “angelus”
Stetit angelus iuxta aram Vierstimmige Motette von Michael Deiss von 1568 auf den gregorianischen Originaltext des Offertoriums
Stella celi extirpavit Sequenz des 12. Jahrhunderts mit der Anrufung von Maria gegen die Pestepidemie
Psalm 113 In exitu Israel de Aegypto Der Wunsch nach Rettung aus der Bedrängnis wird in dieser Psalmrezitation greifbar, wo Gott der Legende nach die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft befreit hat
Stella celi extirpavit Die marianische Sequenz in der vierstimmigen Fassung des flämischen Komponisten Gaspar van Weerbeke (* um 1445; † nach 1517)
Media vita in morte sumus* und Vers: Ach homo perpende fragilis Berühmter Gregorianischer Choral, der Notker I. aus dem Kloster St. Gallen um 900 zugeschrieben wird, aber in Frankreich bereits um 750 entstanden ist
Multitudo languentium Vierstimmige Komposition aus dem Chorbuch Jena 31 um 1500, die Heinrich Isaac zugeschrieben wird
Multitudo languentium* Gregorianischer Choral zum Austeilen der Hostien in der Pestmesse (Communio) und Vorlage für das vorausgegangene mehrstimmige Multitudo
Media vita in morte sumus Sechsstimmige Komposition von John Sheppard (* um 1515; † Dezember 1558) zum Abschluß des Konzertes – „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“
* Aus der Messe gegen die Pest von Papst Clemens VI. von 1348 in einer Fassung aus dem Zisterzienserkloster Langheim bei Bamberg, geschrieben vom Mönch Amandus im Jahr 1496
Texte und Übersetzungen in Auswahl:
INTROITUS Recordare Domine testamenti tui
et dic angelo percutienti
cesset iam manus tua
ut non desoletur terra.
Et ne perdas omnem animam vivam. 2. Samuel Kapitel 24 Vers 16
Gedenke, Herr, deines Bundes,
und sage zu dem Engel, der das Verderben bringt:
Deine Hand höre auf,
damit die Erde nicht verödet wird.
Und damit du nicht jede lebende Seele vernichtest.
Vers: Qui regis Israel, intende :
super domum istam
qui deducis velut ovem Ioseph. cf. Psalm 79 Vers 02
Der du Israel regierst, hab acht:
Über dieses Haus
der du wie ein Schaf den Joseph führst.
GRADUALE Misit Dominus verbum suum, et sanavit eos :
et eripuit eos de interitu eorum. Psalm 106 Vers 20
Der Herr sandte sein Wort und heilte sie;
und er befreite sie vom Verderben.
Vers: Confiteantur Domino misericordiae eius:
et mirabilia eius filiis hominum. Psalm 106 Vers 08.15.21.31
Preisen sollen sie den Herrn für sein Erbarmen,
und seine Wunder preisen vor den Menschenkindern.
ALLELUIA Ostende nobis
Ostende nobis, Domine, misericordiam tuam, et salutare tuum da nobis.
Halleluja – Zeige uns, Herr, deine Erbarmen und schenke uns dein Heil.
Philippe de Vitry: Petre Clemens – Lugentium siccentur – Tenor
TRIPLUM
Petre Clemens tam re quam nomine cui nascenti donantis dextera
non defuit qui ymo cardine e supremo beata munera
superes o felix ac omnia quae reliqua celi benignitas
dare protest; nec defuit pia pyeridum sacrarum dignitas
harum precellis vero dotibus harum dono cuncta Germalia
carmentina pegasi pedibus transvectus es a puericia;
aut fata vero aut ipsa prospera te fortuna mellus spiritus
sublimavit ergo considera quod Cephas es sed orbi deditus
quod monarcha, sed servus omnium princeps orbis, sed orbis languidi
servus nempe sed delirantium ac ne cui tandem sint perfidi
arte princeps serve dimelicum torque fides mundialis celis
regnum tuum furorem tragicum potens pie conpescere velis.
Absit tuo Tyestes tempore et austerus, absint Thebaides
abutentes fraterno jecore; unumque sint scissi Philipides
urben vide classis per equora deterreat principes Thaneos
clangor turbe turcorum pectora decipiant augures mempheos.
Consoletur tristis Armenia et elatus succumbat Ismael
et germinet deserta Syria et depressus resurgat Israel:
tunc nature gloriosissimus triumphator tributum solvere
non dolebis heres legitimus Jhesu Christe moriens libere:
et si desint marmor et gemula ac metallum sculpenda sinceri
erit tandem tumulus vernula semper fama pespondens operi
quam posceris prebebit regula gubernandi faveant operi.
MOTETUS
Lugentium siccentur occuli plaudant senes exultent parvuli
umbre mortis quoniam regio quos temnunt splendoris visio.
Est exorta radio spiritus Clemens sextus sanctus divinitus
stupor orbis otersum speculum ad formandum virtutum modulum
cirrei Syris Apollinis pervasiti vigor certaminis
phitonistas horsis ubere crapulatos solos prosternere ac dum flectis
sermonis timpanum corda rapis ad auris organum.
Petrus primus, Petrum non deseris vices eius quia recte geris
tu clemens es et Clemens dixeris pesagii qui fontis aperis
venas gratis vidis et rudibus Athlanticis et Ethiopibus
stitis quoque quid in preconia laudum mane sudatjusticia.
Non angentur memento secula non mana tumescunt gutula
nec ulla laus addendere mentis tuis unquam poterit inclitis
vulgi tamen modica porcio de te saltem clangere gestio
vivat, vivat orbi perutilis cui non est inventus tuus similis.
Stella celi extirpavit
Stella coeli extirpavit, quae lactavit Dominum,
mortis pestem quam plantavit primus parens hominum.
Ipsa stella nunc dignetur sidera compescere,
quorum bella plebem caedunt dirae mortis ulcere.
O piissima stella maris, a peste succurre nobis.
Audi nos domina, nam filius tuus nihil negans te honorat.
Salva nos Jesu, pro quibus virgo mater te orat.
Der Himmelsstern, der unseren Herrn genährt hat,
vernichtete das Unheil des Todes, das in die Welt gepflanzt worden war,
durch den Stammvater der Menschen (durch die Schuld Adams).
Es lasse sich nun herab, dieser Stern,
den Himmel zu besänftigen,
der im Zorn gegen die Erde
die Völker vernichtet mit der grausamen Geisel des Todes.
O glorreicher Meerstern, befreie uns von der Pest.
Sei gnädig unseren Bitten, oh Herrin,
denn dein Sohn ehrt dich, indem er dir nichts abschlägt,
O Jesus, errette uns und erhöre,
worum dich die Jungfrau und Mutter, dich bittet.
Psalm 113
1. In exitu Israel de Aegypto, * domus Iacob de populo barbaro.
2. Facta est Iudaea sanctificatio eius, * Israel potestas eius.
3. Mare vidit et fugit: * Iordanis conversus est retrorsum.
4. Montes exultaverunt ut arietes: * et colles sicut agni ovium.
5. Quid est tibi mare quod fugisti? * et tu Iordanis quia conversus es retrorsum?
6. Montes exultastis sicut arietes* et colles sicut agni ovium.
7. A facie Domini mota est terra, * a facie Dei Iacob.
8. Qui convertit petram in stagna aquarum, * et rupem in fontes aquarum.
9. Non nobis Domine non nobis: * sed nomini tuo da gloriam.
10. Super misericordia tua et veritate tua: * nequando dicant gentes: Ubi est Deus eorum?
11. Deus autem noster in caelo: * omnia quaecumque voluit fecit.
12. Simulacra gentium argentum et aurum, * opera manuum hominum. (…)
22. Benedixit omnibus qui timent Dominum, * pusillis cum maioribus.
23. Adiciat Dominus super vos: * super vos, et super filios vestros.
24. Benedicti vos a Domino, * qui fecit caelum et terram.
25. Caelum caeli Domino: * terram autem dedit filiis hominum.
26. Non mortui laudabunt te Domine: * neque omnes qui descendunt in infernum.
27. Sed nos qui vivimus, benedicimus Domino, * ex hoc nunc et usque in saeculum.
28. Gloria Patri, et Filio, * et Spiritui Sancto.
29. Sicut erat in principio, et nunc, et semper, * et in saecula sæculorum. Amen.
1 Als Israel aus Ägypten zog, das Haus Jakob aus dem Volk fremder Sprache,
2 da wurde Juda sein Heiligtum, Israel sein Herrschaftsgebiet.
3 Das Meer sah es und floh, der Jordan wandte sich zurück;
4 die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Schafe.
5 Was kam dich an, o Meer, dass du geflohen bist, du Jordan, dass du dich zurückwandtest,
6 ihr Berge, dass ihr hüpftet wie Widder, ihr Hügel wie junge Schafe?
7 O Erde, erbebe vor dem Angesicht des Herrschers, vor dem Angesicht des Gottes Jakobs,
8 der den Fels verwandelte in einen Wasserteich, den Kieselfels in einen Wasserquell!
9 Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deiner Gnade und Treue willen!
10 Warum sollen die Heiden sagen: »Wo ist denn ihr Gott?«
11 Aber unser Gott ist im Himmel; er tut alles, was ihm wohlgefällt.
12 Ihre Götzen sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. (…)
22 Er segne, die den Herrn fürchten,
die Kleinen samt den Großen!
23 Der Herr mehre euch,
euch und eure Kinder!
24 Gesegnet seid ihr von dem Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.
25 Der Himmel ist der Himmel des Herrn;
aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.
26 Die Toten rühmen den Herrn nicht,
keiner, der zum Schweigen hinabfährt.
27 Wir aber wollen den Herrn preisen
von nun an bis in Ewigkeit.
28 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.
29 Wie es im Anfang war, so bleibt es jetzt und in alle Zeiten bis in Ewigkeit. Amen
Antiphon Media vita* Vers: Ach homo perpende fragilis
Media vita in morte sumus, quem quaerimus adjutorem nisi te domine,
qui pro peccatis nostris juste irasceris.
Sancte Deus, sancte fortis, sancte misericor salvator
amare morti ne tradas nos.
Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben.
Welchen Helfer suchen wir als dich, Herr,
der du wegen unserer Sünden mit Recht zürnst.
Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger und barmherziger Erlöser:
überlasse uns nicht dem bitteren Tod!
Versus: Ach homo perpende fragilis, mortalis et instabilis, quod vitare non poteris mortem, quorum quod ieris nam auffert te sepissime dum vivis libentissime.
Vers: Ach! Mensch, denk’ gut nach, gebrechlich, sterblich und vergänglich, der du dem Tod nicht wirst entgehen können, wohin du auch gegangen bist; denn er reißt dich sehr häufig fort, während du mit größtem Vergnügen lebst.
OFFERTORIUM Stetit pontifex inter mortuos et viventes habens thuribulum aureum in manu sua et offerens incensi sacrificium domino et cessavit plaga a populo, alleluia.
Der „Brückenbauer“ (hier zitiert sich der Papst wohl selbst) steht unter den Toten und hält in seiner Hand ein goldenes Weihrauchgefäß, bringt dem Herrn ein Weihrauchopfer dar und beendet die Plage unter den Menschen, Halleluja.
COMMUNIO Multitudo languentium et qui vexabantur a spiritibus immundis veniebant ad eum quia virtus de illo exiebat et sanabat omnes. Lukas 6, Vers 17.18.19
Eine große Zahl von Leidenden und von unreinen Geistern Gequälte kamen zu ihm; denn es ging eine Kraft von ihm aus und sie heilte alle.