EXPANDING TIME – Konzertperformance
Geistliche Melodien des Mittelalters (Gregorianik, Psalmen und Hildegard von Bingen) im Dialog mit Sufi-Lyrik (Rabi’a von Basra, 9. Jh.) begleitet von Baßflöte und Steinharfe
Vokalensemble VOX NOSTRA (Berlin), Normisa Pereira da Silva (Flöte), Rasha Ragab (Rezitation und Performance) und Christoph Nicolaus (Steinharfe)
VIDEOS: Trailer kurz / Konzert St. Emmeram (Regensburg) / Elisabethkirche (Berlin) vor Sonnenaufgang
INHALTLICH geht es um die Liebe zur Schöpfung als eine der spirituellen Verbindungen zwischen den religiösen Strömungen. Dabei richtet sich der besondere Blick auf die historische Bedeutung von Frauen.
Im Islam wie im Christentum gab es Mystiker und Mystikerinnen, die ihre Liebe zum Göttlichen, zum Schöpfer in manchmal beinahe schon erotischen Texten ausdrückten. Die Sufis Rumi und Hafis sowie der Karmeliter Johannes vom Kreuz sind bekannte männliche Beispiele hierfür. Lange vor ihnen wirkte Rabi’a al-’Adawiyya (um 717 – 801). Sie war eine der frühesten und bis heute wichtigsten Sufimystikerinnen, die ihre Liebe zum Schöpfer in vielen Gedichten besang. 300 Jahre danach lebte Hildegard von Bingen (1098 – 1179), die als erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters gilt. Später folgten Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Gertrud von Helfta, Teresa von Avila, u.a. mit ihren Minnedichtungen.
KLANGLICH ist die Konzertperformance getragen von großer Innerlichkeit und meditativer Stille. Gesang, Flöten, Sprechstimme, Wasserperformance und Steinharfe wechseln einander ab und bilden eine Einheit in einer kontemplativen Atmosphäre. Steinharfen sind bisher noch wenig bekannte Instrumente. Steinblöcke, die auf spezielle Weise eingesägt sind, werden mit nassen Händen zum Klingen gebracht. Es entstehen dabei auch körperlich stark wahrnehmbare, sphärische Klänge mit großem Obertonreichtum und sehr weitem Klangspektrum. → Projektbedingt werden auch internationale Gastkünstler:innen mit einbezogen.
GESTALTLICH inspirieren uns frei fließende Formen wie die Kompositionen der Hildegard von Bingen, dieklösterlichen Psalmengesänge, das Hohelied der Liebe, die poetische Kraft der Sufigedichte, die außergewöhnlichen sphärischen Klänge der Steinharfen sowie die Unendlichkeit. Der menschliche Atem ist das Zeitmass für Artikulation und Ausdrucksweise. Bewegungen und ortsspezifische Positionierungen im Raum geben dem Ort selbst seine eigene Stimme. Das Programm für jede Konzertperformance wird entsprechend der Raumdimension, der Licht- und Akustikeigenschaften des Ortes sowie seiner einzigartigen Atmosphäre und Geschichte erstellt.
Pressestimmen
Gazette Neue Musik in NRW, Augustausgabe 2020
(…) Mit expanding time betreten wir uneingeschränkt wohlige Gefilde: Christoph Nicolaus‘ magische Steinharfen, Normisa Pereira da Silvas Bassflöte, Burkard Wehners mittelalterliche Gesänge und Rasha Ragabs Sufirezitationen tauchen den Raum in eine sakrale Atmosphäre. Musiker und Publikum sind im Raum verstreut, jeder für sich und doch eng verbunden. Bei den Steinharfen handelt es sich um Granitblöcke mit tiefen Einschnitten, denen durch Berührungen, die wie sanftes Streicheln wirken, sphärische, vibrierende Klänge entlockt werden. Diese scheinen von überall herzukommen und sind nicht nur mit den Ohren sondern mit dem ganzen Körper erlebbar – eine wahre Klangmassage. (…)
Onlinerezension von Jean-Marie Weber 07. Februar 2020
Klangkunst im Kubus
Ein gelungener Auftakt für das 20. Opening Festival .Eine große Schar von Freunden moderner experimenteller Musik sah eine vielfältige Performance. Selten konnte das verschachtelte Gebäude der Viehmarktthermen ein wirksamere Bühne abgeben. In der lockeren Anordnung der Meuten der Stuhlreihen um einen reduktionistischen Waschtisch herum, entfaltete sich „EXPANDING TIME“ . Mittelalterliche Gesänge des Vokalensembles „VOX NOSTRA“ , ein Trio mit hervorragendem Countertenor, dazu die Bordunklänge der Shrutibox. Mehrere Kompositionen von Hildegard von Bingen folgten und Normisa Pereira da Silva gelang ein hoher goldener Baßflötenklang hinauf in die Weite des Kubus. Dazwischen mystische Sufirezitation von Rasha Ragab gesprochen in arabisch, ein urtümlicher Verfremdungseffekt. Unter ihren schöpfenden und tropfenden Händen in der Mitte des Raumes am kargem Waschbecken erstand ein einprägsames Bild. Im funkelnden wundersam schön ausgeleuchteten Wasserstrahl, im leisen Plätschern und dem Tropfenflug erstand ein hohes Lied auf südspanisch maurisches Erbe von Hochkultur. Dazu im Kontrast die Pilgergesänge aus dem Kloster Montserrat. Zwei Steinharfen, kompakte Blöcke in Scheiben segmentierter polierter Natursteine wurden in Soloimprovisationen zum Tönen erweckt. Christoph Nicolaus lies unter den reibenden Bewegungen seiner angefeuchteten Hände, gleichsam Nachklänge, Obertöne von schweren bronzenen Glocken in den Raum steigen, atmende Modulationen, heiseres Reiben. Ein weltumspannendes Eintauchen in Klänge, ihre Verknüpfung und Durchdringung und dazu ein hohes Lied auf die vorgefundene Architektur. Gelungene Spielfreude bis in die hinteren Gänge, über die Rampen und Treppen des Forums.
Den Ohren der Anwesenden blieb ein Lauschen, der Applaus lies minutenlang auf sich warten, im sich absetzenden Klangerleben meditativer Andacht. Danach freudige Erlösung, Rosen an die Truppe überreicht von Thomas Rath und Bernd Bleffert den Organisatoren des Festivals und lang anhaltender freudiger Applaus.
Pfarrer Thomas Amberg, Nürnberg 09. August 2022
… die Klangsphäre des ungewohnten Instruments Steinharfe von Christoph Nicolaus zieht den Hörenden in einen Raum von Gegenwärtigkeit; ein Erleben mit allen Sinnen, unausweichlich und leibhaft. Intuitiv über kognitives Erfassen hinaus werden die Besucher Teil der Performance; während um die Kirche St. Egidien in Nürnberg herum Trubel und Sommerhitze toben breitet sich im Raum ein Fließen aus; Bewegung zwischen gregorianischen Melodiebögen und der erdig-modulierenden Stimme der Bassflöte von Normisa Pereira da Silva. Dynamisch bewegen sich Klänge und Körper im Kirchenraum: Ahnen – Kommen – Dasein – Gehen – Nachhall … Lateinisch und Arabisch: die Kompositionen der beiden mittelalterlichen Mystikerinnen Hildegard von Bingen und Rabia von Basra umkreisen die Erfahrung der unverfügbaren „Lebenskraft“ des Göttlichen; mit den Händen schöpfend fließt Wasser melodisch über die dunklen Arme und Hände der ägyptisch-nubischen Künstlerin Rasha Ragab, die selbstbewusst den Kirchenraum durchschreitet und rezitiert. Als Mann schenkt Burkard Wehner der Frau Hildegard von Bingen seine Stimme. Singend und rezitierend zeugen beide auf ihre Weise vom „Unsagbaren“, von der Freude einer geheimnisvollen „unio“, die Vereinigung und Zerfließen zugleich ist.